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Rassistische Denkmuster durchbrechen
Worte sind nicht nur Worte, sie prägen sich ein, sie wirken nach, sie können trösten oder verletzen, helfen oder manipulieren. Sie machen die Welt für uns greifbar und haben großen Einfluss auf unser Denken und Handeln. Dem geschriebenen Wort wird dabei eine besondere Rolle zuteil: Medien zeichnen Bilder, setzen in Zusammenhänge und bewerten. Über mediale Berichterstattung können Denkmuster verbreitet und Stereotype verfestigt werden. Daniela Müller stemmt sich im Rahmen ihrer Promotion gegen die Weiterverbreitung rassistischer Denkmuster. Dazu untersucht sie die mediale Berichterstattung über Flucht und Aufnahme.
Text: Carolin Maier
„Du kommst doch nicht von hier“, das sagten die Menschen manchmal in ihrer Heimatstadt Mayen. So wuchs Daniela Müller auf, mit einem kurdischen Vater, zu dem sie keinen Kontakt hatte, einer Mutter aus der Eifel und dem leisen Gefühl, scheinbar nicht so ganz in die kleinstädtische Schublade der 1980er Jahre zu passen. Vielleicht wird sie deshalb schon früh ein politischer Mensch, interessiert sich für Themen wie Rassismus und sprach darüber viel mit ihrer Mutter und im Freundeskreis. Ihre Ausbildung als Arzthelferin schließt sie pflichtbewusst ab, aber das genügt ihr nicht. „Da draußen war etwas ganz und gar nicht in Ordnung. Warum wurde hingenommen, dass Menschen auf der Flucht sterben? Warum wurden Fluchthelfer:innen vor der Wende im Westen als Helden gefeiert, später dann aber als kriminelle Schleuser dargestellt? Ich wollte zurück in die Schule, ich wollte mehr lernen und begreifen.“ Sie holt ihr Fachabitur nach, erwirbt ihr Vordiplom in Gesundheits- und Sozialwirtschaft und schließt ein Bachelorstudium der Sozialwissenschaften an.
Aufbrechen und Ankommen
Zu dieser Zeit stehen Studierende in ganz Deutschland auf, um gegen die Bologna-Reform zu protestieren. „Wir sind auf Demos gefahren, haben selbst Aktionen geplant. Es war ein idealistischer Antrieb.“ In diesem Klima des Protests beschäftigte sich die damals Mitte 20-Jährige intensiver mit sozialer Ungleichheit, Sexismus und Rassismus. Ihr Weg führt weiter über ein Masterstudium in Soziologie in Frankfurt am Main und zur Gewissheit, ihre berufliche Heimat in der Wissenschaft gefunden zu haben. Zu diesem Zeitpunkt fliehen immer mehr Menschen nach Europa. „Für mich war klar: Ich spezialisiere mich auf Genderfragen und Migrationssoziologie.“ Sie lernt die Diskursanalyse kennen, ein Werkzeug, das sie auch in ihrer Dissertation einsetzt. Unter einem Diskurs werden die Aussagen in einer Gesellschaft zu einem bestimmten Thema und einer bestimmten Zeit verstanden. Also Texte und Begriffe, aber auch Regeln, die wiederum Denkweisen und Sprachen festlegen. Wie dieser Diskurs in Bezug auf Flucht und Migration ganz konkret in Deutschland aussieht, interessiert Daniela Müller ganz besonders. Sie wird als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Göttingen Teil eines Forschungsverbundes, wo sie ihre spätere Doktormutter Prof. Dr. Elke Grittmann kennenlernt, heute Professorin für Medien und Gesellschaft am Institut für Journalismus der Hochschule Magdeburg-Stendal.
Die Macht der Sprache
Fortan stapeln sich Zeitungen auf ihrem Schreibtisch. „Wir haben uns angeschaut, wie lokale und überregionale Zeitungen Flucht und Gender miteinander verknüpfen. Dem zugrunde lag die Annahme, dass journalistische Medien nicht nur über gesellschaftliche Ereignisse wie die sogenannte Flüchtlingskrise 2015 berichten, sondern durch ihre Themensetzung und die Art der Darstellung ein spezifisches Wissen erzeugen.“ Während Müller hunderte Artikel auswertet, schärft sie gleichzeitig das Thema ihrer Promotion. „Mein Ziel wurde es, herauszufinden, wie im Kontext von Flucht und Aufnahme über Unterstützung, Unterbringung und den Zugang zum Arbeitsmarkt berichtet wird und welches vergeschlechtlichte und rassifizierte Wissen dabei konstruiert wird.“ So kristallisiert sich unter kristallisiert sich unter anderem heraus: Während im Jahr 2015 die sogenannte Willkommenskultur und eine Form von ‚Mitgefühl‘ die Berichterstattung dominierten, entwickelte sich mit den Bränden in den Flüchtlingsunterkünften eine polarisierende Sicht. „Die Kölner Silvesternacht hat schließlich den Diskurs gedreht.“ Es wurde wieder legitim, so Müller, geflüchtete Männer als gewalttätig und archaisch darzustellen, Frauen als unterdrückt und in patriarchalischen Verhältnissen lebend. Die Wissenschaftlerin schreibt den Medien insofern eine große Macht zu, als sie an der (Re-)Produktion von Diskursen maßgeblich beteiligt sind. Aber es fehle häufig an einem entsprechenden Bewusstsein unter Medienschaffenden.
Vom Weitermachen und verändern
Derzeit bemüht sich Daniela Müller um die Verlängerung ihres Graduiertenstipendiums von der Hochschule Magdeburg-Stendal, um ihre Dissertation bis 2023 fertigstellen zu können. Von Schreibroutine könne dennoch keine Rede sein, meint die 39-Jährige. Insbesondere in Pandemiezeiten bleibe es eine Herausforderung, zwischen Homeoffice und Kinderbetreuung kontinuierlich daran zu arbeiten. Aber Abbrechen, das komme nicht infrage. „Dabei geht es nicht um den Doktortitel. Die Promotion öffnet mir Türen.“ Sie wolle weiter forschen, tiefer in die Themen vordringen, aber vor allem lehren. „Ich kann mit denjenigen sprechen, die künftig dafür mitverantwortlich sind, wie die Gesellschaft Migrant:inen wahrnimmt.“ Dafür nehme sie Augenringe und ein schmales Budget gern hin.
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Daniela Müller
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