Das Superwahljahr: Zum Umgang mit der AfD im kommunalen Kontext

Auf dem Podium in den Räumen der Landespressekonferenz (v. l.): Prof. Dr. Matthias Quent, Marvin Müller, Nikolas Dietze und Prof. Dr. Jan Pinseler. Foto: Norbert Doktor

In einem Pressegespräch am 23. April 2024 hat eine Forschungsgruppe des Instituts für demokratische Kultur (IdK) der Hochschule Magdeburg-Stendal sowie der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer Zwischenergebnisse aus einer laufenden Studie präsentiert. Sie gibt im Rahmen des Projekts „Integrative Demokratieforschung im Land Sachsen-Anhalt“ Einblicke zu kommunalen Entwicklungen und Strategien der AfD sowie Formen der Auseinandersetzungen und des Umgangs seitens Lokalpolitik, Verwaltung und Zivilgesellschaft.

Anhand lokaler Bedingungen, spezifischer Entwicklungen sowie kurzfristiger Folgen, wurden Kommunen in Sachsen-Anhalt betrachtet, in denen die AfD 2023 Stichwahlen um das Hauptamt des (Ober-)Bürgermeisters gewann oder verlor. Für die Studie wurden die beiden Städte Raguhn-Jeßnitz und Bitterfeld-Wolfen im Landkreis Anhalt-Bitterfeld beforscht. Insgesamt 20 qualitative Leitfadeninterviews wurden mit Vertreter:innen aus Lokalpolitik, Verwaltung und Zivilgesellschaft geführt, die unter Einbeziehung weiterer Aggregatdaten (u. a. Dokumentenanalyse und Gruppendiskussionen) ausgewertet wurden. Erste Forschungsergebnisse zeigen, dass die AfD zwischen Machtpragmatismus und angriffslustiger Frontalopposition changiert. Die kommunale Ebene kann als Einstiegsstation für den geplanten Marsch durch die Institutionen verstanden werden.

Kommunale Ämter befördern die Normalisierung der AfD
Der erste hauptamtliche AfD-Bürgermeister, Hannes Loth (Raguhn-Jeßnitz), mäandert zwischen Nähe und Distanz zu seiner Partei. Dies ermöglicht anderen kommunalpolitischen Akteur:innen, die Zusammenarbeit mit ihm zu rechtfertigen. In seiner Beurteilung dominiert das Persönliche vor dem Parteipolitischen. Politische Kontrahent:innen finden kaum Kritikwürdiges an der Politik des AfD-Mannes, der in der lokalen Zivilgesellschaft verankert ist. Aus der Schwäche und dem weitestgehenden Rückzug demokratischer Parteien ergeben sich vor Ort großzügige Wirksamkeitsfelder, die es erlauben, als erfolgreich wahrgenommener Lückenfüller in Erscheinung zu treten. Die Verkörperung dieses kommunalen Machtpragmatismus trägt zur überregionalen Normalisierung der AfD und ihrer Positionen bei. Gleichzeitig steht die vor Ort wahrgenommene Normalität des Bürgermeisters der bundesweiten Radikalisierung sowie Skandalisierung der AfD entgegen. Diese dissonanten Wahrnehmungen können Misstrauen und Entfremdung verstärken und erfordern differenzierten Umgang.

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung kann Rechtsaußenkandidaten verhindern
Ein Siegeszug der AfD bei den anstehenden Kommunalwahlen ist kein Automatismus. Der Fall Bitterfeld-Wolfen und die Politisierung des Wahlkampfs im Vorfeld der Oberbürgermeister-Stichwahl 2023 zeigen, dass zivilgesellschaftliche Mobilisierung den Sieg von Rechtsaußenkandidaten verhindern kann. Eine vergleichbare Mobilisierung aus Reihen der Zivilgesellschaft hatte bereits u.a. im thüringischen Nordhausen erheblichen Anteil an der Stichwahl-Niederlage des AfD-Oberbürgermeisterkandidaten. Bürgerschaftliche Aktivitäten und Mobilisierungen breit aufgestellter Zusammenschlüsse für Demokratie und gegen Rechtsextremismus können Machtgewinne der AfD verhindern und demokratische Alternativen zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen aufzeigen.

Die Lücken für die AfD müssen geschlossen werden
Mittel- und langfristig bedarf es einer kontinuierlichen Stärkung und Unterstützung der demokratischen Alltagskultur in den Kommunen, die Demokrat:innen (wieder) sichtbar werden lässt. Kommunen brauchen finanzielle Handlungsspielräume, die demokratische Mitbestimmung ermöglichen, Begegnungsorte erhalten und kulturelle Infrastruktur ausbauen können. Dies bedeutet, lokale Projekte, Vereine und Initiativen demokratischer Teilhabe und Erlebbarkeit aufrechtzuerhalten, um das Auftreten der AfD als Kümmerer und Lückenfüller zu schwächen. Parteien sollten in den öffentlichen Räumen stärker präsent sein, um der AfD nicht die Rolle als „Volksversteher“ zu überlassen. Die Qualität lokaler Demokratie kann nicht zuletzt durch die demokratischen Fraktionen selbst gestärkt werden, indem diese den schmalen Grat zwischen kommunaler Handlungsfähigkeit und Selbstbehauptung gegen die antidemokratischen Aspekte der Agenda der AfD von Fall zu Fall präzise ausleuchten.

Empfehlungen zur medialen Berichterstattung über die AfD
Die bevorstehenden Kommunalwahlen stellen eine besondere Herausforderung für die mediale Berichterstattung über die AfD dar. Die Bemühungen der AfD, sich im Wahlkampf als pragmatische sachorientierte Akteurin zu inszenieren, dürfen von Medien nicht einfach übernommen werden. Hilfreich hierfür können folgende Aspekte sein: (1) Eine Kontextualisierung von AfD-Forderungen im Wahlkampf, die diese in Verbindung zu den politischen Zielen der AfD als Gesamtpartei setzt. (2) Recherchen, etwa zu den Kandidierenden der AfD, die deren Rolle in der Partei auch über die jeweilige Kommune hinaus beleuchtet. (3) Die Berücksichtigung derjenigen in der Berichterstattung, die von der Umsetzung von Wahlkampfforderungen der AfD betroffen wären sowie von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen jenseits der zur Wahl stehenden Parteien und Kandidierenden. Eine wichtige Voraussetzung hierfür sind personelle Kapazitäten und inhaltliche Kompetenzen in den Redaktionen, die diese Kontextualisierung ermöglichen, Falschbehauptungen schnell und effektiv etwas entgegensetzen können und somit verhindern, von der AfD instrumentalisiert zu werden.

Das Projekt und obiger Text werden verantwortet von:
Prof. Dr. Matthias Quent – Vorstandsvorsitzender Institut für demokratische Kultur
(Hochschule Magdeburg-Stendal)
Nikolas Dietze, M.A. – Wissenschaftlicher Mitarbeiter Institut für demokratische Kultur
(Hochschule Magdeburg-Stendal)
Marvin Müller, M.A. – Doktorand
(Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)
Empfehlungen zur medialen Berichterstattung: Prof. Dr. Jan Pinseler – Institut für Journalismus
(Hochschule Magdeburg-Stendal)



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