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Neues Wirtschaftswundern
Das Wort Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Unklar bleibt, was es am Ende bedeutet. Eine Forschungsgruppe will Auszubildende dazu anregen, selbst über diesen Begriff nachzudenken und dabei das eigene Unternehmen wie auch das Privatleben – zumindest ein bisschen – auf den Kopf zu stellen. Der Modellversuch mit dem Titel NachLeben hat dabei vor allem die Lebensmittelbranche im Visier.
Text: Bianca Kahl
„Oft ist es gar nicht so leicht, Praxispartner für ein Projekt zu finden. Hier wurden uns geradezu die Türen eingerannt“, sagt Prof. Dr.-Ing. Michael A. Herzog über die elf Unternehmen, die zu den Landesgrößen der Lebensmittelbranche gehören. Herzog ist Professor für Wirtschaftsinformatik und beschäftigt sich seit Jahren mit technisch basierten Lehr- und Lernmethoden. Gleichzeitig treibt ihn der Gedanke um, wie er die Grundideen der Nachhaltigkeit in sein Arbeitsfeld einweben könnte. „In den bisherigen Wirtschaftsmodellen wird die Nachhaltigkeit einfach nicht mit eingerechnet“, kritisiert er.
Der Modellversuch NachLeben – Nachhaltigkeit in den Lebensmittelberufen gibt den Anstoß dazu, bisherige Ansätze zu überdenken – ökologisch, sozial wie ökonomisch und das von Grund auf. Denn im Fokus des Projekts stehen die Auszubildenden. Für die Bereiche Süßwarentechnologie, Lebensmitteltechnik, Brennerei, Destillation und Weintechnologie werden neue Lehr- und Lernmaterialien erstellt. Keine Heftmappen und Textaufgaben, sondern interaktive Module, die junge Menschen dazu anregen, selbst nachzudenken und Prozesse zu hinterfragen.
Die richtigen Fragen stellen
„Auszubildende haben vielleicht nicht die Entscheidungsgewalt, um alles sofort zu verändern. Doch sie können die richtigen Fragen stellen“, sagt Herzog. Seine Kollegin Linda Vieback ergänzt: „Es geht nicht um Ja- und Nein-Fragen, richtig oder falsch. Das funktioniert so nicht. Es gibt keine einfachen Lösungen.“ Vielmehr werden die Probleme aller Alternativen thematisiert. Als Beispiel nennt Vieback den Handel mit Kartoffeln: Entweder sie werden über lange Fahrtwege aus der ägyptischen Wüste importiert, wo sie zuvor übermäßig bewässert werden mussten. Oder sie wachsen saisonal in der Region, aber müssen in den Lagern lange haltbar bleiben. Das bedeutet meist einen hohen Energieaufwand und viele Pestizide. „Diese Frage kann erst mal ein Ohnmachtsgefühl erzeugen“, weiß sie.
Linda Vieback ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Für das Projekt NachLeben haben sich Professuren aus beiden Magdeburger Hochschulen zusammengeschlossen. So sind Studierende aus verschiedensten Bereichen wie Didaktik der Technik, Interaction Design oder Gesundheitswissenschaften eingebunden, um die sogenannten Lehr-Lernarrangements zu entwickeln und in den Unternehmen vor Ort zu erproben. Die Denkanstöße nehmen sie gleich für ihre eigenen Berufsfelder mit.
Wertvoll für die Wirtschaft
Am Ende des Projekts stehen Produkte, die in der Praxis rege genutzt werden und auch den Wünschen der Ausbildungsbetriebe entsprechen. Das können Videos sein oder interaktive Anleitungen für kritische Werksrundgänge auf der Suche nach unnötigen Energieverbrauchern. Die Forschungsgruppe entwirft Szenarien, die so auch im Ausbildungsbetrieb passieren könnten. Die Aufgabenstellungen sind realitätsnah, problembasiert und komplex.
Neue Praxispartner sind jederzeit willkommen. Zu den ersten Interessenten gehören Größen wie KATHI, die Halloren Schokoladenfabrik, Wikana Keks und die Rotkäppchen-Mumm Sektkellerei. Auch der Abtshof Magdeburg hofft auf Impulse für die Abläufe im eigenen Unternehmen und darauf, mit den innovativen Angeboten mehr Bewerberinnen und Bewerber für sich gewinnen zu können. „Die junge Generation legt großen Wert auf Nachhaltigkeit. Wir sind ein traditionsreiches Unternehmen, doch wir denken modern und ruhen uns nicht auf unserer Geschichte aus“, sagt der Marketingleiter Helmut Mager.
Konstruktiv und kritisch sein
Die Zusammenarbeit beginnt mit einem ausführlichen Interview. Darin geben die Verantwortlichen Auskunft, wie die Grundideen der Nachhaltigkeit die Unternehmen bisher beeinflussen. Sie teilen ihre Wünsche mit und zeigen, wo sie Herausforderungen sehen, für die es neue Denkanstöße braucht. Darüber hinaus hält sich der Aufwand seitens der Unternehmen in Grenzen.
Mithilfe einer Online-Plattform stellt die Forschungsgruppe die neuen Module für Auszubildende wie auch Lehrende zur Verfügung und überprüft später ihre Wirkung. Beginnen die jungen Menschen wirklich, konstruktiv zu denken und selbst nach Lösungen zu suchen? Bleiben sie in ihren routinierten Abläufen oder reflektieren sie immer wieder, was sie tun? Manifestiert sich die Nachhaltigkeitsidee in den konkreten beruflichen Handlungsfeldern? Nehmen die Auszubildenden die Denkanstöße auch mit nach Hause und ziehen das Handyladekabel aus der Steckdose, wenn es nicht benötigt wird?
Mit fiktiven Szenarien als Ausgangspunkt wollen Herzog und sein Team Stück für Stück ganz reale Veränderungen für die Handlungen und den Konsum jedes Einzelnen herbeiführen. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) ist ihnen dabei ein zuverlässiger und engagierter Partner. Nach 2021 könnten die entwickelten Module in Ausbildungsbetrieben in ganz Deutschland Einzug halten.
Mehr Forschungsgeschichten im Forschungsmagazin „treffpunkt forschung“ und im Hochschulmagazin „treffpunkt campus“
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Kontakt zum Forschungsprojekt
Prof. Dr. Michael Herzog
Tel.: (03931) 2187 4805
Fax: (03931) 2187 4870
E-Mail: michael.herzog@h2.de
Besucheradresse: Stendal, Osterburger Straße 25, Haus 3, Raum 0.11