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Stromfresser in Kläranlagen aufgestöbert
Die wichtigste Zutat bei der Reinigung von Abwasser ist Energie. Und zwar in gigantischen Mengen. Doch noch immer arbeiten die meisten Kläranlagen in Deutschland mit überalterter, ineffizienter Technik. Hinzu kommt: Es gibt kaum Personal und Mittel für Analysen zur Verbesserung der Situation. Das KI-gestützte Projekt „RECYBA“ rund um das Forscherteam von Prof. Wiese kann Abhilfe schaffen – bis zu 80 Prozent Energieersparnis stehen in Aussicht. Doch zunächst müssen die Forscher Berge an Daten sammeln und auswerten.
von Kathrin Wöhler
Abwasser entsteht rund um die Uhr und durchläuft je nach Kläranlage allerhand stromintensive Prozesse. Es muss gepumpt, gerührt, belüftet und gefiltert werden. Für entstehende Schlämme kommen Pressen und Zentrifugen zum Einsatz. Da glüht der Stromzähler: Der weit überwiegende Teil der laufenden Ausgaben einer Kläranlage entfällt auf die Energiekosten. Auch mit Blick auf die ökologische Bilanz des Reinigungsprozesses in den rund 10.000 Kläranlagen Deutschlands tut guter Rat not. Wie also Energie sparen?
Kleine Kläranlagen, große Stromfresser
Während in Großklärwerken diesbezüglich gehörig Manpower in Analysen und Umbauten gesteckt werden kann, bleibt dafür in kleineren Anlagen schlicht keine Zeit. Und die machen rund 90 Prozent der Kläranlagen aus.
Hier kommt RECYBA ins Spiel: Das KI-gestützte Verfahren soll unnötige Stromfresser auf einer Kläranlage entlarven und Verbesserungsvorschläge unterbreiten, erklärt Dr.-Ing. Jürgen Wiese. Dazu leitet der Professor für Siedlungswasserwirtschaft mit dem Schwerpunkt Abwasser ein Team aus Forschern an, dem unter anderem die Ingenieure Dr. Ralf Tschepetzki und Henning Oeltze angehören.
Seite an Seite mit Avacon und Rittmeyer
Die Arbeitsgruppe kooperiert mit dem niedersächsischen Unternehmen Avacon Wasser und der Schweizer Firma Rittmeyer. Sie unterstützen das Forscherteam finanziell und steuern Technik sowie Datenmaterial bei. Die Rittmeyer AG entwickelt Messund Leittechnik für die Wasser- und Energiewirtschaft, die Avacon Wasser GmbH beliefert private Haushalte und Unternehmen mit Trinkwasser und betreibt Kläranlagen.
RECYBA umfasst mehrere Analyseebenen: Zunächst muss die KI-basierte Software gewissermaßen geschult, also mit Daten gefüttert werden. Dazu sammeln, digitalisieren und systematisieren die Wissenschaftler massenhaft Informationen über die Klärwerkslandschaft. So entsteht ein Atlas sämtlicher Anlagenteile und Prozesse, die zur Reinigung von Abwasser Energie benötigen.
Google Earth zur Fehlerfahndung
Wiese und sein Team bedienen sich eines pfiffigen Einfalls und werten u. a. Google-Earth-Bilder von Kläranlagen aus. Hierzu nutzen sie frei verfügbare Datenquellen wie Betreiber-Webseiten und Suchmaschinen. „Schon auf dieser untersten Datenebene können wir erste Schlüsse ziehen“, erläutert Wiese und nennt ein Beispiel. „Wenn wir auf einem Nachklärbecken Schwimmschlämme erkennen, vermuten wir Defizite im Anlagenbetrieb, die mit einem unnötigen Energieverbrauch einhergehen.“ Liefe alles optimal, würden die Schlämme auf die Beckensohle absinken. Diese Vordiagnostik kommt ohne eine Begehung aus, die für Betreibende recht teuer sein kann. Sie wurde aktuell an rund 100 Anlagen durchgeführt. Das Kostenargument nennt Wiese häufig, da es sich bei der Entsorgung von Abwasser um eine kommunale Pflicht handelt, die aus Gebühren finanziert wird.
Empfehlung durch Ähnlichkeitssuche
Für noch genauere Daten nehmen die Wissenschaftler aktuell 20 Klärwerke vor Ort unter die Lupe. An dieser Stelle werden Schwächen in den Abläufen und Anlagenteilen, die wegen unnötiger Energieverbräuche schnell ins Geld gehen, besonders gut sichtbar.
Schließlich kommen sogenannte Entscheidungsunterstützende Systeme zum Einsatz. Das Forscherteam bindet dazu unter anderem ein künstliches neuronales Netzwerk des Projektpartners Rittmeyer ein. Darüber hinaus wird „Cased-Based Reasoning“ eingesetzt, eine fallbasierte Form künstlicher Intelligenz. Wiese erklärt das Prinzip: „Wir betrachten Kläranlage A mit allen Informationen, die wir haben. Was fehlt, ergänzt der Betreiber. Das System ermittelt nun auf Basis einer Ähnlichkeitssuche die Anlagen B und C gleichen Typs aus ihrem Datenstock. Also z. B. Anlagen, die ebenfalls zwei Belebungsbecken nutzen. Alle Punkte, an denen B und C energieeffizienter arbeiten, listet uns dann das Entscheidungsunterstützende System auf.“
Thermometer senkt Heizkosten
Jede Empfehlung kann daraufhin getestet werden, inwiefern sich die Investition lohnen würde. „Wir sprechen hier auch von kleinen Änderungen. Nehmen Sie das Beispiel Nachklärbecken. Deren Rundräumer sind 24 Stunden in Betrieb, ihre Fahrbahn auf dem Beckenrand darf also niemals vereisen und wird deshalb beheizt. Zumeist automatisch, z. B. von Oktober bis Mai. Ein vorgeschaltetes Thermometer kann genügen, um die Heizkosten in warmen Wintern spürbar zu senken.“ Wichtig sei aber, so Wiese, dass die Energieeinsparmaßnahmen nicht zu Lasten der Reinigungsleistung gehen.
Im Jahr 2025 soll das Verfahren marktreif sein. Es gibt viel zu tun für RECYBA, bis auch die allerkleinsten Abwasserentsorger in Deutschland ihrer Stromfresser habhaft werden können. Und damit im besten Fall die Gebührenbescheide für die Kunden wieder etwas freundlicher ausfallen.
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