In erster Linie bin ich Mensch

Sich hin und wieder unwohl im eigenen Körper zu fühlen, kennt so ziemlich jeder Mensch. Doch wie lebt es sich in einem Körper, dessen von Geburt an zugewiesenes Geschlecht sich falsch anfühlt? „Brutal“ – sagt die Studentin Ronja und gibt einen intimen Einblick in ihr Leben.

Geschrieben von Carolin Maier

„Was musstest du je dafür tun, eine Frau zu sein?“ Diese Frage stellt mir Ronja während unseres Gesprächs. Eine Antwort ist nicht nötig, denn wir beide kennen sie bereits. Ronja hingegen musste einiges an Energie aufbringen, um an dem Punkt zu stehen, an dem sie sich heute befindet. Ein langer Weg voller Ängste und Sorgen, aber auch Überraschungen und Erleichterungen liegt hinter ihr. Ronja studiert Sicherheit und Gefahrenabwehr und zog dafür von Berlin nach Magdeburg. Passend zu ihrem Studium ist die 25-Jährige eine richtige Anpackerin. Sie ist seit vielen Jahren Mitglied in der Freiwilligen Feuerwehr, engagiert sich beim Technischen Hilfswerk und hilft beim Ausbau eines CO2-neutralen Mehrfamilienhauses. Zudem setzt sie sich in der AG Queer² aktiv für queere Themen an der Hochschule ein.

Statist im eigenen Leben

Ronja hieß früher anders. Ihren Deadname, also ihren alten Vornamen, der ihr bei Geburt gegeben wurde, legte sie im Inneren schon vor vielen Jahren ab, öffentlich im vergangenen Jahr. Ein bedeutender Schritt auf dem Weg ihres Coming-outs. Bereits in Ronjas Kindheit gab es in ihr dieses unbehagliche diffuse Gefühl, dass „irgendwas komisch“ ist, ohne eine genaue Vorstellung davon zu haben, was genau. Mit Beginn der Pubertät begann sie zu verstehen, was ihr in den nächsten Jahren bevorsteht. „Ich merkte, dass hier etwas gewaltig nicht stimmt. Wenn ich vor dem Spiegel stand, hat sich das nie richtig angefühlt. Meine Eltern freuten sich, als der Bart anfing zu wachsen oder sich die Stimme veränderte, aber ich wollte davon nichts wissen.“ Es war schließlich eine Reportage über ein junges trans* Mädchen, die Ronja die Augen öffnete und somit gewissermaßen den Point of no Return darstellte. Sie verstand, dass sie nicht allein mit diesem Gefühl ist, „denn vorher wusste ich überhaupt nicht, dass es Menschen gibt, die sich in ihrem geborenen Geschlecht nicht zu Hause fühlen, man dagegen aber etwas machen kann.“

In erster Linie
bin ich MenschTrotz dieses neuen Bewusstseins begann für Ronja eine schwierige Zeit. „Das ist brutal. Du lebst quasi ein Leben, das nicht wirklich deins ist. Du bist ja schon der Mensch mit deinen Vorlieben und Interessen, die du aber nicht ausleben kannst, weil du nicht als du selbst leben kannst. Das ist im Prinzip ein blödes Schauspiel, das man für den Rest der Welt führt. Eigentlich ist man Statist im eigenen Leben.“

„Hier ist Ronja, seid bitte nett zu ihr“

Mit Beginn des Studiums schöpfte Ronja neue Kraft und hatte im „jugendlichen Leichtsinn“ die Hoffnung, dass alles von allein gut werden würde. Doch der Leidensdruck stieg und brachte psychische Probleme mit sich, was sie schließlich zur offenen Sprechstunde der Psycho- Sozialen Studierendenberatung führte. Es folgte eine sehr anstrengende Zeit, in der sich Ronja auch spezialisierte Hilfe suchte. Danach „kam der Rest ins Rollen“, Ronja outete sich als trans* Frau. Zunächst ihrer Familie gegenüber, dann auch innerhalb anderer wichtiger Bereiche ihres Lebens, des THW und der Freiwilligen Feuerwehr. Die Reaktionen machen Ronja auch heute noch, ein knappes Jahr später, ungläubig: „Es ist paradox. Ich habe mir jahrelang den Kopf zerbrochen, wie die Menschen um mich herum reagieren werden und wie ich mit negativen Rückmeldungen umgehen werde. Und dann kam alles ganz anders. Ich erhielt von allen Menschen Zustimmung“. Danach fühlte sich Ronja bereit, es „dem Rest der Welt“ zu sagen: „Ich stellte ein Foto mit dem Text ,Hallo Welt, das hier ist Ronja, seid bitte nett zu ihr´ in meinen WhatsApp-Status“.

Ihr Outing empfanden viele als mutig, doch Ronja sah letztlich keinen anderen Ausweg für sich, wenn sie jemals ein zufriedenes Leben führen wollte. „Es ist keine Entscheidung, sich zu outen. Denn am Ende ist es keine Entscheidung, dass du bist, wie du bist. Was passiert, wenn man das nicht tut, kann ich aus eigener leidvoller Erfahrung berichten. Deshalb rate ich jedem Menschen, mögliche Widerstände in Kauf zu nehmen. Am Ende lohnt es sich, das Risiko einzugehen, wenn du dafür ein lebenswertes Leben bekommst.“

Das Leben ist schön

Dass es in Ordnung ist, sich ins Leben zu stürzen, Interessen nachzugehen, feminin auszusehen und zu spüren, dass sich das Leben auch einfach mal gut anfühlen darf – das begreift Ronja erst allmählich. „Alles was jetzt passiert, körperlich und emotional, ist aufregend, vor allem ist es aber schön aufregend.“ Ronja hat endlich das Gefühl, sie selbst zu sein und hört auf ihre innere Stimme. Das rät sie auch jeder Person, die einen ähnlichen Leidensdruck empfindet, wie sie es einst tat. „Es ist nichts anderes als Selbstfürsorge, die Person zu sein und zu leben, die man ist.“ „Ich habe noch meinen Weg vor mir, keine Frage, aber ich sehe jeden Tag im Spiegel, dass es der richtige ist.“

Aktuelles Magazin online blättern

Aktuelle Ausgabe: Nr. 106

Frühere Ausgaben findest du im Archiv.

treffpunkt campus erscheint einmal pro Semester.

Kontakt zur Redaktion

Lob, Kritik oder Anregungen? Schreib uns an treffpunktcampus@h2.de.

Du möchtest das Hochschulmagazin als Print-Ausgabe lesen? Abonniere es!

Hintergrund Bild