Am Leben ganz nah dran

Stefanie Sens hat Gebärdensprachdolmetschen Diplom studiert. Foto: Vorlautfilm

Aus treffpunkt campus Nr. 76, 01/2014

Im Jahr 2008 beendete Stefanie Sens ihr Studium zur Gebärdensprachdolmetscherin. Direkt danach machte sie sich in Sachsen-Anhalt selbstständig und begleitet seitdem gehörlose Menschen durch den Alltag.

Interview: Nancy Wöhler

Warum haben Sie sich für den Studiengang Gebärdensprachdolmetschen entschieden?
Ich bin beim Tag der offenen Tür auf diese Studienrichtung aufmerksam geworden. Mich haben die Sprache und Art der Kommunikation sehr fasziniert und ich fand die berufliche Perspektive sehr spannend.

Wie lang hat es gedauert, bis Sie die Gebärdensprache beherrschten?
Es ist möglich diesen Studiengang mit unterschiedlichen Grundlagen anzufangen. Es gab in meinem Semester Kommilitonen, die keine Gebärdensprachkenntnisse besaßen, wiederum aber auch welche, die bereits vor dem Studium Volkshochschulkurse besucht hatten. Ich habe vor Beginn des Studiums einen Volkshochschulkurs absolviert. Dort konnte ich bereits einige Basiskenntnisse erlangen. Man bekommt hier während des Studiums eine Art „Werkzeugkasten“, um die Grundlagen zu schaffen und alles, was darüber hinaus geht, muss man in Eigenarbeit lernen und festigen. Das heißt, man muss Weiterbildungen besuchen und immer dran bleiben, denn auch die Gebärdensprache entwickelt sich im Laufe der Zeit immer weiter.

Welche praktischen Erfahrungen konnten Sie während Ihres Studiums sammeln?
Das Studium ist sehr praxisorientiert angelegt und beginnt mit einem Orientierungspraktikum. Ich war sechs Wochen in einer Beratungsstelle für Menschen mit Hörbehinderung tätig, einerseits in der Administration und andererseits in der Begegnungsstätte, wo Gehörlose zu verschiedenen Veranstaltungen zusammengekommen sind. Das vierte Semester besteht komplett aus einem Hospitationspraktikum. Dort haben wir Dolmetscher bei ihrer Arbeit begleitet und beim Zuschauen gelernt. Dieses Praktikum habe ich in Dublin verbracht und habe dort mit einer Kommilitonin zusammen Dolmetscher begleitet. Ich habe einen guten Einblick in die Vielfältigkeit des Berufs bekommen, besonders in die unterschiedlichen Stile der Dolmetscher und auch in die Sprache verschiedener Regionen. Im siebten Semester habe ich noch einmal ein Praktikum gemacht, in dem ich 20 Wochen in verschiedenen deutschen Städten gearbeitet habe.

Wie ging es für Sie direkt nach dem Studium weiter?
Nach dem Studium habe ich mich 2008 selbständig gemacht. Ich wollte unbedingt in Sachsen-Anhalt bleiben. Das war für mich schon ein kleines Abenteuer, weil ich nach dem Studium nicht genau wusste, wie das alles mit der Selbständigkeit funktioniert. Ich habe mich in dieser Zeit mit vielen Kollegen ausgetauscht, die mir mit Rat und Tat zur Seite standen.

Warum sind Sie nach dem Studium hier in der Region geblieben?
Ich bin aus zwei Gründen hier geblieben. Erstens war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Das heißt einfach, dass ich den Bedarf an Gebärdensprachdolmetschern in Sachsen-Anhalt erkannt habe. Zu dieser Zeit gab es hier nicht viele Gebärdensprachdolmetscher mit Abschluss. Und zweitens bin ich der Liebe wegen geblieben.

Wie sieht Ihr typischer Arbeitstag aus?
Ich bekomme Anfragen von gehörlosen Kunden, zum Beispiel per SMS, in denen sie mich bitten, sie zu Terminen zu begleiten, um dort zu dolmetschen. Das können ganz unterschiedliche Termine sein. Von der Behörde bis zum Arzt ist alles dabei. Wenn ich einmal keine Zeit habe, vermittle ich die Menschen an andere Kollegen weiter. Dann gibt es eine Vermittlungsstelle, bei der ich als Dolmetscherin gelistet bin, die mich bei Bedarf auch anrufen können. Meine Wochen, und dementsprechend auch meine Arbeitszeit, gestalten sich also immer unterschiedlich.

Welche Dienstleistungen bieten Sie Ihren Kunden genau an?
Ich begleite meine Kunden als Dolmetscherin zu ganz verschiedenen Terminen oder Anlässen. Das sind Arzttermine, Termine bei Ämtern oder Behörden, aber auch Hochzeiten und Vorlesungen. Darüber hinaus koordiniere ich auch Aufträge, indem ich beispielsweise einen Co-Dolmetscher engagiere, falls die Termine über mehrere Stunden oder auch Tage gehen. Dort wechseln wir uns dann beim Dolmetschen ab, um eine perfekte Begleitung zu gewährleisten.

Was ist das Besondere an Ihrem Beruf?
Das Besondere an meinem Beruf ist, dass ich immer mit ganz unterschiedlichen Menschen zu tun habe, und auch Teil ihres Lebens bin. Durch die Begleitung der Menschen in bestimmte Situationen ihrer Alltagswelt bin ich natürlich auch ganz nah am Leben meiner Kunden dran. Das kann durchaus auch schwierig für mich sein, wenn ich jemanden zum Beispiel zum Arzt begleite, und derjenige bekommt eine negative Diagnose.

Was würden Sie Studierenden Ihrer Fachrichtung während und nach dem Studium raten?
Wichtig ist für mich an erster Stelle, das Sammeln praktischer Erfahrungen. Sie sollten auch Angebote von außerhalb nutzen, wie zum Beispiel Vorträge oder den wöchentlichen Stammtisch, bei dem sich gehörlose und hörende Menschen in einer Bar treffen und austauschen.

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