Rolle der Medien in Krisenzeiten

Es war die beste aller Zeiten. Es war die schlimmste aller Zeiten. Charles Dickens steigt so in seinen Roman „Eine Geschichte aus zwei Städten“ (1859) ein – und kreiert damit den Satz, der das journalistische Lebenselixier wie kein anderer auf den Punkt bringt. In Krisenzeiten blühen Journalist:innen auf, es wird ihre beste Zeit, so viel zu beobachten, zu berichten, zu produzieren. Und sie erleben gleichzeitig – wenn sie nicht jede Empathie gegen den branchentypischen Zynismus eingetauscht haben – die schlimmste aller Zeiten. Menschliche Tragödien, große Belastungen, Leben am Abgrund.

Text: Prof. Dr. Claudia Nothelle

Der Stoff, aus dem Journalismus gemacht wird

Was sich von der Folie vermeintlicher Normalität abhebt, was für eine möglichst große Gruppe relevant ist, was überrascht, was betrifft und was betroffen macht, was zum Lachen und zum Weinen bringt, was Orientierung bietet, was den (selbst ernannten) Prominenten geschieht oder in irgendeiner Form wichtig zu sein scheint – all das findet seinen Weg in die Nachrichten. Eine Krise, egal welcher Art, liefert da reichlich Stoff. Eine Krise wie die Pandemie erst recht: die Geschichten, die erzählt werden wollen, gehen nicht aus – und immer neue Entwicklungen tragen dazu bei, dass das Publikum sein Interesse nicht verliert.

Zu Anfang ging es erst einmal darum, zu erklären und zu verstehen – die große Stunde der Wissenschaftsjournalist: innen, (von denen es leider viel zu wenige gibt). Was sind Coronaviren? Wie verbreiten sie sich? Aerosole? PCR-Test? Masken? FFP2? Ein neues Vokabular hat unseren Alltag erobert. Und alle warteten begierig auf Informationen: Wie sollen sie sich verhalten? Welche Symptome gibt es? Und Therapien? Social Distancing? Manchmal galt: Was gestern richtig war, ist heute schon falsch. Die Medienschaffenden lernten mit den Wissenschaftler: innen. In dieser Phase sahen die Medien sich in der Pflicht zu informieren und damit hoffentlich einen wesentlichen Beitrag zum Schutz der Menschen zu leisten. Die Nachfrage gab ihnen offensichtlich recht: hohe und höchste Einschaltquoten vor allem für die Informationssendungen und -seiten. Und auch das Vertrauen in die Informationen war ungebrochen, wie die Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen für das Jahr 2020 belegt.

Die Aufgabe der Information, der Orientierung, des Service – all das hat funktioniert in der Krise. Als erster Schritt nach dem Schock ganz sicher auch eine entscheidende Aufgabe. In einer demokratischen Gesellschaft aber gibt es weiterreichende Erwartungen an die Medien: Es geht um Kontrolle der Mächtigen, um kritische Fragen und darum, den Finger in die Wunde zu legen. Ein großes Thema in diesem Kontext zum Beispiel war der Impfstart – warum lief das so schleppend an? Oder auch die sehr grundlegende Frage, die an die Grundfeste der Demokratie geht: Wer eigentlich trifft politische Entscheidungen? Die Ministerpräsidentenkonferenz, vorher eher ein Gremium zum Austausch am Rande, rückte nun in den Mittelpunkt. War das legitim? Und welche Rolle hat der Bundestag? Solche Themen fanden langsam, manchmal zu langsam, ihren Weg in die Öffentlichkeit.

Geradezu lehrbuchhaft zu beobachten war schließlich die Frage nach der „false balance“, der falschen Ausgewogenheit. Selbstverständlich gilt der journalistische Grundsatz, dass auch die andere Seite zu hören und zu sehen sein muss. Aber heißt das, jede:r Virolog:in eine:n Querdenker:in gegenüberzusetzen? Bekommt doch dadurch eine durch Fakten nachweisbar falsche Position ein viel zu großes Gewicht. Wenn der eine sagt, die Sonne scheint und die andere am gleichen Ort zur gleichen Zeit von Regen spricht, dann sollten Journalist:innen nicht beide Positionen aufschreiben, sondern herausgehen und selbst feststellen, wie das Wetter ist. Und auch in der weitaus komplexeren Pandemiesituation war (und ist) Recherche ein entscheidender Punkt für gute Berichterstattung.

Schließlich stellt sich noch die Frage: Wie wieder herauskommen aus der Krise – und aus dem Krisenmodus? Der konstruktive Journalismus mit seinem Hauptvertreter Ulrik Hagerup sieht es als Aufgabe der Journalist:innen an, auch Lösungen aufzuzeigen. Nicht unbedingt selbst die Lösungen zu erdenken, aber die vorhandenen Ansätze zu analysieren und vorzustellen und eben nicht bei der Schilderung der Problemlage stehen zu bleiben. Für die Coronakrise zumindest ein wichtiger Gedanke.

Und für die Journalist:innen selbst? Selten ist es so, dass ein Thema alle Bereiche des Lebens durchdringt und sich in allen Facetten der Berichterstattung widerspiegelt. Von eindrucksvollen Reportagen aus dem Krankenhaus über politische Krisensitzungen bis hin zur Forschungssituation, vom Lockdown und den Folgen für die Familien über die Situation der Kultur und der Gastronomie bis hin zur Lage in den ärmeren und ärmsten Ländern – die Liste ließe sich fortsetzen. Eine thematische Bandbreite, die niemals auserzählt ist. Dazu aber kommt, dass viele der Berichtenden selbst betroffen waren – selbst krank geworden sind oder schwere Fälle im eigenen Umfeld erlebt haben, sie waren im Lockdown, mussten Homeoffice und Homeschooling gleichzeitig erledigen, Sozialleben nur via Zoom. Auch das hat die Berichterstattung beeinflusst. Das „Ich“, sonst immer noch gemieden im Journalismus, war öfter die Hauptperson.

Es war die beste aller Zeiten. Es war die schlimmste aller Zeiten. Es sind die Ausnahmesituationen, die den Journalismus so spannend machen. Aber es sind auch die Ausnahmesituationen, die alles von Journalist:innen abverlangen – damit die Krise nicht zur Normalität wird und die Sensation nicht zum alles beherrschenden Faktor. Denn gerade in der Krise gilt auch: Distanz ist eine wichtige journalistische Tugend. Ein abwägender Blick, ein zweiter Gedanke – nur dann können Journalist: innen ihrer Aufgabe gerecht werden und sich nicht vom Strudel des „noch schlimmer, noch katastrophaler und noch dramatischer“ mitreißen lassen.

Gedanken sammeln, abwägen und bewerten – unsere Profs haben immer eine Meinung. Ihren Blick auf aktuelle Themen kannst du in unseren Kommentaren nachlesen.

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