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Zu träge zum Aufstehen?
Karikatur: Phil Hubbe
Aus treffpunkt campus Nr. 100, 04/2018
„Keine Politikerin, kein Politiker, keine Partei wird unsere Probleme lösen, wenn wir es nicht selbst tun”, heißt es auf der Webseite der Sammlungsbewegung „Aufstehen”. Die parteiunabhängige Initiative mit über 80 prominenten Unterstützerinnen und Unterstützern aus Industrie, Wissenschaft, Medien, Kultur und Politik will bei der letzten Bundestagswahl verloren gegangene Wählerinnen und Wähler wieder einfangen, sie motivieren. Doch was nicht von uns selbst kommt – beruflich wie privat – wird nichts verändern. Warum wir endlich aufhören müssen, unser täglich Programm abzuspulen.
Text: Prof. Dr. Thomas Kliche
Klar, etwas in der Art von „Aufstehen” hat gefehlt: Die tiefe internationale Gefährdung unserer Sicherheit und Wirtschaft ist mit Händen zu greifen, das Gefühl eines großen Änderungsbedarfs unserer zerstörerischen Lebensweise grummelt immer stärker. Aber bislang stehen die Bastel- und die Rauswurf-Antwort im Vordergrund: Entweder so lange basteln und reparieren, wie es irgend geht, ohne langfristigen Plan und große Entwürfe; das macht die Kanzlerin. Oder alle angiften und angreifen, die nicht zum gefühlten Club der tollen Toitschen gehören; das machen die Rechtsextremen im Windschatten der AfD und zerrütten damit erfolgreich so manchen Teil der CDU. Es fehlt eine Plattform, die die linkeren Parteien zum Zusammenwirken anhält und ihre Beiträge zu einem handlungsfähigen Entwurf bündelt: die Zähmung einer durchbrennenden Weltwirtschaftsordnung aus dem Programm der LINKEN, die große Transformation zur nachhaltigen Lebensweise als Lebensidee der GRÜNEN, die pragmatische Gestaltung des Sozialstaats als Erbe der SPD. Davon träumen viele.
Erschließt „Aufstehen” hierfür eine neue Möglichkeit? Wir wissen es nicht. Kritisch wird es ja erst, wenn so eine Bewegung politisch loslegt. Programme mit einer Mapping-Software zu entwickeln, tut niemandem weh. Aber wie werden sie verwirklicht? Wird „Aufstehen” dann Parteien unterstützen? Welche? Wie? Oder Parteien verdrängen, also bei Wahlen kandidieren? Oder damit drohen, um die Kooperation anderer zu erzwingen? Und wer darf drohen, der Vorstand? Schwupps, wäre eine neue Partei daraus geworden, der Wettbewerb würde zu- und die Handlungsfähigkeit abnehmen.
Vorerst siegt die Routine, siegt der Apparat, der sie abspult: Die anderen Parteien machen einfach weiter. Die Mitarbeiterstäbe produzieren zuverlässig Papiere, Plakate und Parolen. Zwar begreifen viele: Das reicht nicht mehr. Trotzdem ist es verständlich. So machen wir es selbst in der Hochschule ja auch. Klimakatastrophe? Nö, Klimawandel. Digitalisierung? Schönes neues Thema, mal sehen. Plastikmüll? Der plätschert tröstlich weit weg im Ozean, nicht neben dem Automaten, der dauernd Becher ausspuckt. Ich sage mir selbst auch gern: Bleib auf dem Teppich! Vernünftige Seminare, pünktliche Rückmeldungen, Ermutigung für alle, wirkungsvolle Transferprojekte – schwer genug! Reicht das nicht?!
Nein. Gerade eine praxisnahe, vielseitige, lebendige Hochschule wie diese könnte doch viel mehr leisten, um neue Wege zu erschließen. Denn hier gibt es ja nicht nur tolle Technologien. Ich meine gar nicht allein die Deichbauer, die dem Vernehmen nach mindestens national zu den besten gehören. Die kommen sowieso zum Zuge, hoffentlich nicht zu bald ... Nein, wir haben die Vielfalt, die für Innovationen künftig entscheidend ist: Wirtschaft, Technik, menschliche Beziehungen. Denn Innovation ist nicht einfach ein Maschinchen, sondern immer die Veränderung der Verhaltensweisen, Kompetenzen und Alltagspraktiken, mit denen die Berufe, die Organisationen, die Menschen sich diese Maschinchen aneignen. Unsere Hochschule ist eigentlich eine ungeheuer reiche Ideen- und Zukunftsschmiede.
Nutzen wir das schon voll? Vielleicht könnten wir noch mehr geistige Teilchenbeschleuniger einbauen. Man könnte überlegen, Teile des rasch überholten Wissens zu entrümpeln, stattdessen Austausch- und Planungskompetenzen stärken, auch den gesellschaftlichen Transfer, etwa durch breitere Praxisforschungsformate über mehrere Semester. Dafür muss man Raum schaffen. Ja, daran arbeiten schon viele. Oft ist das zäh, denn wir haben alle viel um die Ohren (siehe oben). Können wir manchmal nicht größer und ehrgeiziger denken, können wir unsere Arbeit nicht mehr auf Kompetenzen, Innovationen und Interdisziplinarität ausrichten, die der tiefe Wandel der kommenden Jahrzehnte fordern wird?
Aufstehen muss man, um loszugehen. Gut. Sitzen ist das neue Rauchen. Stehen wir also auf. Der Weg wird lang. Wichtig ist immer weniger, mit wem wir losgehen. Wir müssen zusehen, dass wir ankommen, bevor unsere Gestaltungsspielräume sich in Krisen auflösen.
Gedanken sammeln, abwägen und bewerten – unsere Profs haben immer eine Meinung. Ihren Blick auf aktuelle Themen kannst du in unseren Kommentaren nachlesen.
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