Zwischen Hörsaal und Kinderzimmer

Nicht immer ein Kinderspiel: Für Studentin Beatrice Hungerland war das Thema Kindheitswissenschaften schon früh auch ein sehr praktisches. Foto: privat

Aus treffpunkt campus Nr. 88, 01/2016

Auf und davon, das wollte Prof. Dr. Beatrice Hungerland nach dem Abitur. Warum alles ganz anders kam und wieso das gar nicht schlecht war, verrät die Professorin für Kindheitswissenschaften im Gespräch mit treffpunkt campus.

Text: Aufgeschrieben von Claudia Heinrichs

Meine Schulzeit habe ich in Wuppertal verbracht und wollte da eigentlich immer weg. Ich hatte viele Ideen, was ich nach dem Abi machen wollte und bin gleich im Anschluss für ein soziales Jahr nach Schottland gegangen. Dort habe ich wichtige Erfahrungen gemacht und überlegt, dass ein Studium, das sich mit Menschen in ihren sozialen Strukturen befasst, passen würde. Also habe ich mich für Sozialwissenschaften beworben. Das wurde damals von der Zentralen Vergabestelle für Studienplätze verteilt und die hat mich prompt wieder nach Wuppertal verfrachtet. Ich dachte, mich trifft der Schlag!

Ich war wenige Monate wieder bei meinen Eltern und bin schnell aus- und in eine WG gezogen. Und habe weiter überlegt, wie ich mal aus Wuppertal wegkomme. Aber dann habe ich meinen späteren Mann, einen echten Wuppertaler, kennengelernt – und wurde schwanger. Ich wollte das Kind und auch mein Freund, der glücklicherweise eine Stelle hatte, hat sich total gefreut. Also haben wir gesagt: Wir schaffen das!

Damit haben sich mein Leben und das Studieren wirklich gewaltig verändert. Bis dahin war ich so eine „na mal sehen“- Studentin, habe gern gefeiert, Musik und Theater gemacht, mich aber auch in der Fachschaft engagiert. Studieren mit Kind war damals in Westdeutschland fast unmöglich. Je mehr mein Bauch wuchs, desto eher bekam ich zu hören: „Das war’s wohl mit dem Studium!” Und Kinderkrippen gab es in Wuppertal nicht. Aber das habe ich so nicht hingenommen. Wir haben eine Tagesmutter gefunden, die meine Tochter drei Tage pro Woche übernommen hat. In der Zeit bin ich studieren gegangen. Es war klar: Wenn ich das schaffen will, muss ich mich gut strukturieren und zusehen, dass ich meine Zeiten zum Arbeiten habe. Da bin ich richtig gut geworden. Das bemerke ich auch bei unseren studierenden Müttern: Entweder sie brechen ab oder sie entwickeln sich genau so, sind unheimlich strukturiert und motiviert.

Die ganzen typischen Sachen, an die man sich gern erinnert – stundenlange politische und gesellschaftliche Debatten, in der Cafeteria zusammensitzen, Texte und Referate diskutieren – sind bei mir quasi sofort weggefallen. Ich habe die Lerngruppen dann immer nach Hause eingeladen. Wir saßen am Küchentisch und haben gelernt, zwischendurch krabbelte meine Tochter auf dem Fußboden herum; alle haben mal mit ihr gespielt oder gefüttert. Ansonsten ging es: Zack, zu den Lehrveranstaltungen in die Hochschule, in den Freistunden in die Bibliothek.

Als meine Tochter zwei Jahre alt und das Vordiplom gut gelaufen war, habe ich beschlossen: Du wolltest immer zwei Kinder, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt! Im Frühjahr darauf habe ich meine zweite Tochter bekommen und das Hauptstudium mit beiden gemacht.

In der Tat habe ich länger studiert als andere, 16 Semester. Bekommen die Kinder plötzlich Keuchhusten, ist das Semester gegessen. Ich habe manchmal bewusst auch nur Teilzeit studiert. Ich kannte allerdings auch niemanden, der in Regelstudienzeit fertig geworden ist. Viele haben nebenher gearbeitet und das Studieren war für die meisten viel stärker interessensgeleitet, offener, mit mehr Wahlmöglichkeiten. Das hatte Vor- und Nachteile: Man konnte sich ein breiteres Wissen aneignen. Viele haben ihr Studium aber nicht oder erst nach zig Semestern beendet und es war viel Selbstorganisation gefragt.

Ich wollte immer wissen, wie Menschen zusammenleben, warum sie tun, was sie tun. Insofern war das Studium genau richtig für mich. Dass der Studiengang so interdisziplinär war, fand ich schön: Von Soziologie über Sozialgeschichte, Pädagogik, Psychologie bis Methoden und Statistik. Ich hoffe nur, dass wir heute besser vermitteln können, warum man die verschiedenen Perspektiven mal einnehmen sollte. Die Didaktik der Profs war grottenschlecht und wir saßen zum Teil in riesengroßen Veranstaltungen, wo unten ein Prof leise etwas erzählte und man zwischen dem Geraschel der anderen versuchte, irgendwie mitzukommen. Da beneide ich unsere Studierenden manchmal.

Es war anstrengend, aber ich habe gemerkt, dass man das Studium mit Kind schaffen kann, sehr bewusst auch mit zwei Kindern – zumindest wenn man Unterstützung durch den Partner oder die Eltern hat. Ich würde es wieder machen und auch heute Studierenden empfehlen, während des Studiums ihre Kinder zu bekommen.

Mehr Erinnerungen an die Studienzeit in „Lehrende und ihre Studienanfänge“

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