Pflege den Zweifel

Praxis mit der Schreibmaschine: Claudia Nothelle im Frühjahr 1985 beim Praktikum in der Lokalredaktion der Frankfurter Neuen Presse. Foto: Jörg Ladwig

Aus treffpunkt campus Nr. 100, 04/2018

„Irgendwas mit Medien“, heißt es häufig auf die Frage, was man später eigentlich mal machen wolle. Wen wundert’s, dass sich Studieninteressierte im Dickicht der angebotenen medienwissenschaftlichen Studiengänge nicht selten verirren. Für Prof. Dr. Claudia Nothelle zu Beginn ihrer Studienzeit keine Frage. Sie wusste ganz sicher: Sie will Journalistin werden.

Text: Prof. Dr. Claudia Nothelle

Der gute Ratschlag altgedienter Redakteure lautete: Studiere, was dich interessiert – und sieh zu, dass du viel Praxiserfahrung sammelst. Und außerdem: good luck! Denn schon in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts gab es keinen Königsweg in den Traumberuf.

Gesagt, getan. Ich begann ein Lehramtsstudium Katholische Theologie und Germanistik in Bonn, dem Berlin der alten Bundesrepublik, zumindest was die politischen Aktivitäten betraf. Da gab es die Hofgartenwiese, auf der Hunderttausende gegen den NATO-Doppelbeschluss demonstrierten. Aus dem Fenster der theologischen Seminarräume sah man direkt auf diese Wiese und konnte dorthin auch gern zum Picknick in der Mittagspause gehen. Eine frühe Form des grünen Campus … Auch die Staatsbesucher waren in Uninähe: Legten sie doch ihre Kränze am anderen Ende der Hofgartenwiese nieder. Und der Beobachtungsposten: siehe oben.

Die Studienbedingungen an der Rheinischen Friedrich Wilhelms-Universität in Bonn waren damals gewöhnungsbedürftig. Plätze in beliebten Seminaren waren nur durch frühzeitiges Aufstehen (oder langes Wachbleiben) zu ergattern. In manchen Hörsälen gab es nur einen Sitzplatz auf dem Boden. Und als erstes Zeichen einer Digitalisierung schoben wir Mikrofiches durch Lesegeräte in der Unibibliothek (und genossen dabei die fabelhafte Aussicht auf den Rhein).

Germanistik und Journalismus muss ich wahrscheinlich kaum erklären, das passt. Aber Theologie? Willst du zur Kirchenzeitung? Ungläubiges Staunen. Nein, wollte ich nicht. Ich wollte über Kirchenthemen berichten, über Kirchenpolitik und hatte auch Vorbilder in den damaligen Zeitungen (und bis heute gibt es davon genug zu berichten). Irgendwann weitete sich meine Berufsvorstellung. Aber das Studium war immer noch genau meins und eine gute Grundlage, zum Beispiel die Beschäftigung mit der (theologischen) Hermeneutik: Aus welcher Perspektive – aus welchen Zusammenhängen heraus gehe ich an eine Fragestellung heran? Oder die Kirchengeschichte. Ganz sicher auch die Christlichen Gesellschaftslehre: sozialethische Grundlagen, die mir später bei so manchem Kommentar geholfen haben. Überhaupt: Wahrscheinlich das Wichtigste, das ich aus meinem Studium mitgenommen habe, ist es, Fragen zu stellen und alles infrage zu stellen. Nicht einfach alles zu glauben, sondern den Zweifel zu pflegen – ja, auch und gerade in der Theologie.

Eine spannende Zeit – mit Kontrastprogramm in den Semesterferien: Praxis, Praxis, Praxis. Parallel zum Studium habe ich beim Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses, das ist die katholische Journalistenschule, eine studienbegleitende Journalistenausbildung absolviert. Dazu gehörten mehrwöchige Seminare (vergleichbar mit den Lehrredaktionen unseres Journalismusstudiums) und Praktika – in Lokalredaktionen in Dortmund und Frankfurt, einer Parlamentsredaktion in Bonn und beim SWF in Konstanz. Pressekonferenzen, Recherchen, spannende neue Menschen kennenlernen und fragen, fragen, fragen (siehe links). Ganz nebenbei war für mich auch der Rollenwechsel sehr spannend: Wartete ich in Bonn als Studentin oft lange auf einen Termin in der Sprechstunde des Professors, waren deren Kollegen in Dortmund, Frankfurt oder Konstanz meist sehr interessiert an einem Gespräch mit mir. Die Aussicht, in der Zeitung zitiert zu werden, war vielversprechend. Die Erfahrung machte mich zunächst einmal stolz – und nach einigem Nachdenken auch wieder bescheiden. Denn die waren ja nicht an mir interessiert, sondern an meiner Rolle …

Zurück zum Studium. Die Universität hat mich so gefesselt, dass ich bis einschließlich der Promotion durchgehalten habe. Es war (und ist) die Freiheit, die mich fasziniert hat. Alles lesen, alles forschen, alles fragen, alles strukturieren. Natürlich gab und gibt es Studien- und Prüfungsordnungen. Es gab Veranstaltungen, die mich nur wenig interessierten und Hausarbeiten, durch die ich mich gequält habe. Aber prägender war die Überzeugung, mit dem Studium eine große Chance zu haben. Heute würde man wahrscheinlich sagen: Zeit für Input. Danach dann der Output. Eine lange Praxisphase beim Mitteldeutschen Rundfunk und Rundfunk Berlin Brandenburg. Und jetzt: back to the roots. Zurück an der Hochschule. Und hoffentlich viel Input und Output. Am liebsten gleichzeitig.

Mehr Erinnerungen an die Studienzeit in „Lehrende und ihre Studienanfänge“

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