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In den 70ern mischten Studierende in der Uni gleichberechtigt mit
Beatles, Kinks und The Who als Vorbild. Das galt damals als „langhaarig“. Foto: privat
Aus treffpunkt campus Nr. 86, 05/2015
Für Künstler, Kritiker und Abenteurer war Westberlin im Kalten Krieg ein „place to be“. Auch Prof. Dr. Renatus Schenkel, Professor im Studiengang Journalismus, folgte dem Ruf der Stadt. Ab 1970 studierte der damals 20-Jährige Publizistik, Kommunikations- und Politikwissenschaften sowie Soziologie an der Freien Universität Berlin. Die Debatten und politischen Skandale, aber auch die Jazz-Kultur der Siebziger prägten den Experten für Medien und Gesellschaft bis heute.
Text: Aufgeschrieben von Nico Pfeil
Nach einer kurzen Studienerfahrung in München und einer Tätigkeit im Regionaljournalismus verließ ich meine Heimat Offenburg und zog nach Westberlin. Gewohnt habe ich während meines Studiums an drei Orten. Zunächst zur Untermiete bei einer älteren Frau, dann am Potsdamer Platz im Wohnheim direkt an der Mauer und schließlich in meiner eigenen bescheidenen Wohnung. Vieles hat sich seither verändert, aber zum Beispiel die Bäume vor dem Berliner Sony Center stehen noch. Meine Parterre-Wohnung im Hinterhof kostete sechzig Mark Miete, hatte eine Sitzbadewanne und im Winter froren die Füße. Zuflucht boten dann Bibliotheken und Kneipen.
Im Studium habe ich genossen, dass uns die Lehrenden als gleichberechtigt behandelten. Was in den Lehrveranstaltungen zählte, waren nicht Rang, Herkunft oder Kleidung, sondern Argumente. Wir diskutierten auf Augenhöhe. Gleichberechtigt ging es auch in den Gremien zu. Hier herrschte Viertelparität, das heißt wir Studis hatten das gleiche Stimmengewicht wie Assistenten, Verwaltungskräfte und Professoren, die so auch mal überstimmt werden konnten. Als Zweitsemester wurde ich in die Entwicklungsplanungskommission des Instituts für Publizistik gewählt und konnte die Studienplanung direkt beeinflussen. Auf den Straßen und in der Uni ging es damals hochpolitisch zu. Privates und Studium verschmolzen sozusagen. Dass Berlin im Zentrum der 1968er-Bewegung stand, spürte man auch in den 1970ern. Ich teilte die allgemeine Aufbruchsstimmung, wollte mich einmischen und Veränderungen bewirken. Wir engagierten uns gegen die 1968 durchgepeitschten und noch heute anwendungsbereiten Notstandsgesetze, gegen die Atom- und die Friedenspolitik. Für große Demos sorgte auch die Praxis der Berufsverbote, die unter anderem renommierte Medienwissenschaftler wie Professor Horst Holzer in Bayern trafen und Anpassung und Duckmäusertum beförderten.
Während der Demonstrationen stand ich häufig hinter der Kamera, habe Ereignisse festgehalten und Reportagen für die Zeitung verfasst. Damit konnte ich auch nebenher Geld verdienen. Gearbeitet habe ich zeitweise im Dreischichtdienst der Post, im Baubereich der Bahn und als Zeitschriftenausfahrer. Zusammen mit der Unterstützung meiner Eltern und dann mit einem Promotionsdarlehen war ich unabhängig von zeitlichem Studiendruck. Eine Regelstudienzeit gab es noch nicht. Diese Freiheit ermöglichte mir, auch Psychologie-Seminare zu besuchen oder die Rechts- und Theaterwissenschaften kennenzulernen. Wir hatten die Zeit, Autoren nicht bloß anzuschneiden, sondern ihre Lehren intensiv zu studieren. Viele meiner Professoren hinterließen dabei ein exzellentes Bild bei mir – sowohl charakterlich als auch fachlich. Ich hatte das Glück, bei Klaus Holzkamp und Ute Osterkamp zu studieren, die die alternative Kritische Psychologie entwickelten, oder bei dem marxistischen Volkswirtschaftler Robert Katzenstein, der die heute wieder aktuelle Theorie des Staatsmonopolistischen Kapitalismus wesentlich vorangetrieben hat. Unsere Professoren zählten zu einer Generation, die Adorno, Habermas, Fichte, Hegel, Feuerbach, Engels, Marx und andere im Original kannten und uns ihre Lesart weitergaben. Mit dem Wissen diskutierten wir auch, was uns im Alltag bewegte: der Putsch in Chile 1973, der Vietnamkrieg oder die allgemein kleinkarierte Lebens- und Sichtweise.
Nach den Seminaren wurden die Diskussionen in den Berliner Kneipen und Bars fortgeführt. Es zog mich häufig in die Szene des Free Jazz. Ich habe aber auch gern Klassik gehört. Und da es in Westberlin keine Sperrstunde gab, konnte es schon mal vorkommen, dass nach einer langen Nacht morgens um acht Uhr gleich wieder die Tagesordnung einer Kommissionssitzung rief. Ich gehörte allerdings mit meinem Outfit nicht zu den „völlig verwilderten“ Studenten, habe schon zu Studienanfangszeiten gutes Essen genossen und das Jackett als Markenzeichen getragen.
Mehr Erinnerungen an die Studienzeit in „Lehrende und ihre Studienanfänge“
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