Julia Maurer

Schatten
Dunkelheit. Stille. Ich bin regungslos, als die Gefühle der Angst und der Verwirrung wieder einsetzen. Wo bin ich hier gelandet? Die Luft ist kalt und feucht. Ich schrecke zusammen, als mich etwas am Arm streift. Oder war das nur der Wind? Langsam fangen meine Augen an sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Ich fühle mich benommen und bemerke, dass ich ein Geräusch wahrnehme, welches ich jedoch nicht zuordnen kann. Auch von wo es kommt, kann ich nicht beschreiben.
Es ist ein Dröhnen, welches von allen Seiten kommend auf mich einprasselt. Meine Gedanken schwirren umher und malen sich die absurdesten Szenarien aus. Bevor ich das eine Szenario zu Ende denken kann, schießen mir schon wieder neue Gedanken in den Sinn. Ich nehme all meinen Mut zusammen und spreche ein unsicheres Hallo in die Dunkelheit. Nichts. An dieser Stelle sollte eigentlich ein Gefühl der Erleichterung eintreten, doch es geschieht nicht. Zwar kann ich meine schlimmste Vorstellung, in der Dunkelheit von irgendetwas gepackt zu werden, jetzt ausschließen, doch aus irgendeinem Grund lässt mich das Gefühl nicht los, nicht allein zu sein.
Du bist allein, du bist allein, du bist allein, flüstere ich leise vor mich hin, in der Hoffnung, ich würde es mir selbst glauben. Der Versuch, mich dadurch zu beruhigen, misslingt und ich spüre, wie mir mein Herz förmlich aus der Brust springt. Es pocht wie verrückt. Jetzt setzt auch die Kurzatmigkeit ein. Ich stehe immer noch wie angewurzelt auf derselben Stelle. Ich will wissen, wo ich bin. Ist es ein Raum? Ist es draußen vielleicht hell? Wie viel Uhr haben wir? Ich schließe die Augen, versuche mich nur auf mich zu konzentrieren und versuche mich im Raum-Zeit-Gefüge zu positionieren. Doch es gelingt mir nicht. Die Ungewissheit über die Gesamtsituation macht mich wahnsinnig und ich merke, wie mein ganzer Körper zittert und Angstschweiß aus sämtlichen Poren meines Körpers tritt. Ich gebe mir einen Ruck, breite meine Arme aus und öffne die Augen wieder, um mich im Raum zu orientieren. Nach ein paar Schritten nach vorne stoße ich auf eine Wand. Erleichtert atme ich auf und drehe ihr den Rücken zu. Die Wand ist kalt und rau. Jetzt heißt es, einen Ausgang zu finden.

Ich taste mich Stück für Stück die Wand entlang auf der Suche nach einem Lichtschalter, doch finde keinen. Enttäuschung und die Sorge, hier nicht wieder hinauszufinden, machen sich in mir breit. Doch dann, als sich meine Hände wieder ein Stück weiter vorgetastet haben, kann ich eine Veränderung der Struktur der Wand spüren. Holz. Mir steigt ein modriger Geruch von dem morschen Holz in die Nase. Ich klopfe gegen die Wand und kann hören, dass sich ein Hohlraum dahinter befindet. „Ein Ausweg“, platzt es erleichtert aus mir heraus. Ich entferne mich einen Schritt von der Wand und trete einmal kräftig dagegen, um die Holzwand einzureißen. Jetzt spüre ich den Windzug, der mich vorhin am Arm gestreift hat, stärker. Wieder spreche ich ein „Hallo“ ins dunkle Nichts. Dieses Mal jedoch lauter und es hallt mehrfach zurück. Ein Tunnel, schießt es mir in den Kopf.

Ich trete aus meiner Kammer heraus in den Gang des Tunnels. Nach links oder nach rechts gehen, frage ich mich. Langsam kehrt meine Selbstsicherheit zurück und ich drehe mich entschlossen nach rechts. Mit einer Hand immer an der Wand, taste ich mich durch die Dunkelheit. Ein komisches Gefühl, nicht sehen zu können, was vor oder hinter einem liegt, und sich nur auf seine anderen Sinne zu verlassen. Jedes Geräusch, was ich von mir gebe, hallt mehrfach nach. Selbst der Putz, der durch meine Hand von der Wand gelöst wird und zu Boden fällt, macht Geräusche und wirkt in der Dunkelheit und Stille fast laut. Gerade in dem Moment, wo ich denke, ich hätte mich an die Situation gewöhnt und mein Körper befinde sich wieder in einem annähernd normalen Zustand, reißt mich ein lautes Krachen aus meinen Gedanken. Ohne bewusst den Entschluss dazu gefasst zu haben, laufen meine Beine so schnell sie können los. Nicht wissend, was vor mir liegt, werde ich immer schneller. Da war es wieder das Herzklopfen und die Todesangst. Ich bemerke, dass ich langsam erkennen kann, wo ich hintrete. Ein schwaches Licht beginnt hinter mir aufzuleuchten und ein Schatten zeichnet sich auf dem Boden vor mir ab. Dein Gefühl, dass du nicht allein bist, hat dich nicht getäuscht, schießt es mir eine Millisekunde durch den Kopf. Panik. Ich renne noch schneller, kann mich nicht mehr kontrollieren, stolpere über meine eigenen Füße und falle zu Boden.
Mit dem Sturz ist es vorbei.

Ich schrecke schweißgebadet aus meinem Traum hoch. Mein Herz rast. Der Mond scheint hell durch mein Fenster und wirft den Schatten des kahlen Baumes, welcher vor meinem Fenster steht, auf meine Bettdecke. Gedanklich noch in meinem Traum gefangen, deute ich alle Schatten, die durch das Mondlicht in meinem Zimmer entstehen als Figuren. Um mich zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist, knipse ich das Licht an. Alles wie sonst. Der Schreibtischstuhl ist nur ein Schreibtischstuhl und die Stehlampe nur eine Stehlampe. Keine Figuren. Ich knipse das Licht wieder aus und sinke zurück ins Kissen. „Du bist allein“, flüstere ich und schlafe wieder ein.

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