Sanierungskonzept um die historische „Essenzen-Fabrik“ der Stadt Zerbst
Im Rahmen des Masterstudienganges „Energieeffizientes Bauen und Sanieren“ an der Hochschule Magdeburg-Stendal wurde innerhalb eines praxisorientieren Projektstudiums ein Sanierungskonzept entwickelt, um die historische „Essenzen-Fabrik“ in der Stadt Zerbst energetisch zu sanieren, um die bisherige Nutzung als Veranstaltungsstätte ganzjährig zu gestalten und um zusätzliche Wohnungen zu erweitern. Im zeitlichen Vorfeld des Projektstudiums sind die Nachfahren der Gründer und Eigentümer der Essenzen-Fabrik, Stephanie und Fritz Kölling, an den Fachbereich Wasser, Umwelt, Bau und Sicherheit der Hochschule herangetreten, um mit Studierenden eine langfristige Lösung zum Erhalt der Essenzen-Fabrik zu entwickeln.
Dazu wurde zunächst im Oktober 2022 in einem ersten Schritt mit den Verantwortlichen des Projektstudiums Professorin Claudia Fülle und Professor Thomas Harborth ein Ortstermin und Kennenlerngespräch der Studierenden mit Familie Kölling vereinbart. Neben einer Führung durch das Gebäude wurde die aktuelle Nutzung besprochen und Vorstellungen einer Sanierung und zukünftigen Nutzung geäußert. Im Ergebnis wurde als Aufgabenstellung zusammengefasst, dass das Objekt einen auf energetische Ansprüche angepassten Sanierungsfahrplan benötigt. Dieser soll energetische, soziokulturelle und wirtschaftliche Maßnahmen für ein zukunftstaugliches Nutzungskonzept umfassen. Dieses neue Nutzungskonzept sieht vor, Leerstand zu vermeiden, neuen Wohnraum und einen Veranstaltungsraum für Events sowie einen externen Kinosaal für zusätzliche Einnahmen zu schaffen. Somit wird die Essenzen-Fabrik nicht nur energieeffizient saniert, sondern in der Perspektive weiter ein wichtiger sozialer Anlaufpunkt für Einwohner und Besucher der Stadt Zerbst bleiben.
Ein Resultat der Diskussion zur Aufgabenstellung war das Priorisieren der Sanierungsarbeiten anhand der Gebäudebereiche Kino und Veranstaltungsraum, Wohnungen sowie Lager, damit die umfangreiche Sanierung des Gebäudes und Bearbeitung des Projektes strukturiert werden konnte. Es gab in der weiteren Planung weitere Ortstermine im November 2022, unter anderem, um Aufmaße zu erstellen, bauphysikalische Prüfungen durchzufuhren und weitere Absprachen mit den Bauherren zu führen.
Das Projektstudium im Masterstudium an der Hochschule Magdeburg ist dahingehend ausgelegt, dass die Studierenden übergreifende Themengebiete der bisherigen Studiums auf ein spezielles und einzigartiges Projekt selbstständig anwenden und komplexe Fragestellungen beantworten. Um die Vielzahl planerischer Aspekte optimal in der zur Verfügung stehenden Bearbeitungszeit zu bewältigen, wurden innerhalb der Studiengruppe fachspezifische Gruppen gebildet. Die Gruppe der Objektplaner erstellte zwei- und dreidimensional neue Zeichnungen des Bestandes sowie für das neue Nutzungskonzept. Die Gruppe der Energieberater beschäftigte sich mit den technischen Themen einer energetischen Gebäudesanierung. Zu den Aufgabenbereichen dieser Gruppe zählten das Heizungssystem, das Trinkwassernetz, die Abwasserplanung und die energetische Unterstützung durch Solarenergie. Die Bauphysikgruppe hat zum Beispiel die Möglichkeiten der Wärmedämmmaßnahmen geprüft und unter anderem das Mauerwerk hinsichtlich der Wasseraufnahmefähigkeit getestet. Die Gruppe Wirtschaftlichkeit konnte auf der Grundlage der planerischen Vorarbeiten die erforderlichen Leistungen beschreiben und darauf eine Kostenschätzung erstellen. Zur Kontrolle des Leistungsstandes der Gruppen und Festlegen der nächsten Schritte wurden wöchentliche Besprechungen durchgeführt, die durch die Gruppe der Projektsteuerer geleitet wurden. Die Ergebnisse der Besprechung wurden – wie in der Praxis üblich – in Protokollen und Terminplänen festgehalten. Ergänzend zu den wöchentlichen Besprechungen der Gruppen wurden die Ergebnisse in der Studiengruppe und vor den Bauherrn präsentiert.
Ein wichtiges Ergebnis des Projektstudiums war die Feststellung, dass fast alle planerischen Prozesse durchgängig digital bearbeitbar waren. Die erstellten Planunterlagen wurde über digitale Schnittstellen in die Fachgruppen zum Beispiel für die Erstellung der Kostenschätzung bzw. der energetischen Beurteilung automatisiert eingelesen und weiterbearbeitet.
Die technischen und wirtschaftlichen Ergebnisse wurden im Rahmen eines Projektberichts dokumentiert und Familie Kölling als Auftraggeber, Bauherrn und Eigentümer der Essenzen-Fabrik durch eine Gruppe der Studierenden im Mai 203 übergeben. Im Bericht ist aufgeführt, wie die einzelnen Bauteile des Gebäudes wärmegedämmt und welches Heizsystem betrieben werden soll. Im Weiteren wurden zwei Photovoltaikanlagen mit über 28 Kilowatt Leistung geplant, mit denen über 28000 Kilowattstunden auch zum Eigenverbrauch produziert werden können.
Zur wirtschaftlichen Bauherrenberatung gehörte es auch, mögliche Fördermaßnahmen der Energieeffizienz aufzuzeigen. Zusammengefasst ist bei der Durchführung der Arbeiten von einem mittleren sechsstelligen Investitionsvolumen auszugehen. Darin ist der durch die Studierenden erbrachte Planungsanteil von insgesamt ca. 1500 Stunden enthalten. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass alle Masterstudentinnen und -studenten durch ihren vorherigen Bachelorabschluss und der daraus folgenden Berufsqualifizierung die Planungsleistung als Ingenieure und Ingenieurinnen erbracht haben.
PS: Zunächst zur Historie der Essenzen-Fabrik
Im Jahr 1889 wurde in der Stadt Zerbst ein Wohnhaus und Fabrikgebäude für die so genannte Essenzen-Fabrik erbaut. Der Kaufmann Gottfried Bernhard Friedrich Kölling (1852-1912) gründete dort gemeinsam mit einem früheren Geschäftspartner seines Onkels die Firma Kölling & Schmitt, in der Aromastoffe für alkoholfreie Getränke hergestellt wurden, so genannte Essenzen. Hierfür wurden exotische und heimische Fruchte verarbeitet. Großer Beliebtheit erfreuten sich vor allem die Erfrischungsgetränke „Frischgeist“ und „Zitronensprudel“. Bekanntheit erlangte das Unternehmen sogar über Landesgrenzen hinaus, als sie ihre Produkte auf der Weltausstellung in Chicago 1893 präsentierten. Nach positiven Ergebnissen während der Kriegsjahre führte die Inflation der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts dazu, dass die finanziellen Reserven vernichtet wurden. Mit Ende des Zweiten Weltkrieges musste der Betrieb ganz eingestellt werden, da es an Rohstoffen, Transportmöglichkeiten, Mitarbeitern und Geld mangelte. Die Fabrik an der Kastanienallee blieb bestehen und nach einer kurzen Zeit der Nutzung zur Marmeladenherstellung diente die Fabrik wieder zur Essenzen-Herstellung, auch wenn die Beschaffung von Rohstoffen nach wie vor Probleme bereitete. 1967 musste die Fabrik letztlich an den Staat verkauft werden. In den 70er-Jahren wurde in der Fabrik ein volkseigener Betrieb für tierische Rohstoffe eingerichtet. Nach dem Fall der Mauer war das Gebäude, wie viele andere dem Verfall preisgegeben. Anfang der 2000er Jahre kaufte die Urenkelin des Firmengründers, Stephanie Kölling, die Immobilie zurück und schuf seither mit anderen engagierten Personen ein Kulturzentrum, in dem bis heute unterschiedliche kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte und Theaterabende stattfinden und nach wie vor geplant sind.